Knast statt Urlaub
Berlin/Instanbul, 9. Juli 2008 — Der Fall des Deutschen Andreas K., der wegen Beleidigung des Türkentums letzten Dienstag in Antalya festgenommen wurde, sorgt weiter für diplomatische Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei. K. droht der Prozess auf Grund des auch in der Türkei umstrittenen Paragraphen 301 des türkischen Strafgesetzbuches. Ihm wird eine Äußerung zum Völkermord an den Armeniern in einem Internetforum vorgeworfen, die er im Mai 2008 getätigt haben soll.
Was war geschehen? Andreas K. war nie in einem türkischen Internetforum unterwegs. Als Neu-Neuköllner, dem sein Stadtteil sehr am Herzen liegt, hat er sich unter anderem an der Organisation von Stadtfesten beteiligt und seine Ansichten in Berliner Internetforen geäußert. Zum Verhängnis wurde ihm eine Diskussion über den Völkermord an den Armeniern, zu dem er zusammen mit türkisch- und armenischstämmigen Freunden eine Ausstellung organisieren wollte, In der Türkei wird die Bezeichnung des Völkermordes als solcher oft unter dem §301 verfolgt, der eine Verunglimpfung der türkischen Werte, des türkischen Staates unter Strafe stellt. Die relativ schwammige Auslegung des §301 erlaubt es, Kritiker mit Sanktionen zu belegen: Es kommt äußerst selten zu Verurteilungen, aber während eines Prozesses sind Schriftsteller und Oppositionelle praktisch bewegungsunfähig. Auch Andreas K. sitzt nun ersteinmal im türkischen Knast. Sein “Urlaub” dürfte sich auf gut drei Monate ausdehnen, eine Verurteilung ist praktisch unmöglich. K. soll als Exempel für seine Freunde zuhause dienen: Keine Ausstellung, keine Probleme — dass es ihn erwischt hat, ist Zufall, er war der erste im Freundeskreis, der in die Türkei wollte, zum Urlaub.
Im November 2007 beschloss der Bundestag, dass Telekommunikationsverbindungsdaten aller Internet- und Telefon- und Mobiltelefonnutzer sechs Monate gespeichert bleiben, um die Strafverfolgung zu ermöglichen. Weil das Gesetz insbesondere der Terrorabwehr diente, wurden vielen befreundeten Staaten Zugriffsrechte auf die gespeicherten Daten eingeräumt. Die EU, alle NATO-Staaten, Russland und viele im Kampf gegen den Terror verbündete Staaten erhalten seither Zugriff auf die Verbindungsdaten. Wegen der hohen Anzahl an Anfragen hat der Bundestag bereits zum April 2008 ein weiteres Gesetz nachgeschoben, das eine einheitliche Abfrageschnittstelle vorschreibt. Staaten, die intensiv terroristische Aktivitäten im Internet beobachten, können seither fast ohne Kontrolle auf Einwahldaten zugreifen.
K. wurde zum Verhängnis, dass der Administrator des Forums die IP-Adresse, von der aus ein Posting abgeschickt wurde, angemeldeten Nutzern öffentlich zugänglich machte. Das nutzte ein Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes um den Inhalt der Forendiskussion, IP-Adresse und Zeiten zu notieren und an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben. Über das elektronische Rechtshilfeersuchen — wie die Schnittstelle für befreundete Staaten offiziell heisst, konnte die Staatsanwaltschaft die Telefonnummer von K. ermitteln und mit simpler Inverssuche den Anschlussinhaber. Der Haftbefehl gegen K. wurde wie Hunderte andere an alle Flughäfen des Landes weitergegeben.
Hinrngespinste? Utopien? Mitnichten. Zurück ins Jetzt: Die Vorratsdatenspeicherung soll am 8. November abgesegnet werden. Internetzugangsprovider sind dann verpflichtet, die Zuordnung zwischen Anschluss und vergebener IP-Adresse und die Einwahlzeiten für den Zeitraum von sechs Monaten vorzuhalten. Den Zugriff auf Verbindungsdaten durch ausländische Staaten regelt die Cybercrime-Convention, die erstens recht schwammig ausgelegt ist und zweitens wenig Kontrollmechanismen vorsieht. Bei entsprechender Arbeitsüberlastung der deutschen Justiz ist es durchaus im Rahmen des Möglichen, dass unter dem Stichwort “Terrorismus” sensible Daten auch ohne präzise Prüfung herausgegeben werden. Es scheint nicht genug, dass ein Staat, der eigentlich die Unschuldsvermutung kennt, zunächst die Kommunikationsprofile aller Internet- Telefon- und Mobiltelefonnutze speichen möchte, nein diese Daten sollen auch den ausländischen Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden in 52 Staaten zugänglich gemacht werden.
Ich denke, dass Szenarien des Schreckens, die sich wie hier gegen konkrete Organisationen oder Staaten wenden, bedenklich sind. Erstens ist das Skizzierte viel zu abstrakt: Kritker hätten händeweise Einwände gegen das geäußerte Argument, so z.B. die Tatsache, dass ja die Wenigsten was mit den Türken am Hut haben, dass ausländische Dienste streng geprüft werden und ähnlichen Yadda Yadda. Otto Normalbürger schaltet dann ab und winkt durch – ER hat ja nix zu verbergen!
Zweitens ist das trotz des Einwands ein guter Text, zeigt er doch ein drohendes Missbrauchspotenzial, oder zumindest eine lauernde Gefahr, die durch altbekannte Lücken im Verwaltungsapparat entstehen können.
(BTW: Das Wort “seltenst” gibt es nicht. Nach der Korrektur kannst Du diese Anmerkung gerne löschen.)
…dass ja die Wenigsten was mit den Türken am Hut haben, dass ausländische Dienste streng geprüft werden und ähnlichen Yadda Yadda. Otto Normalbürger schaltet dann ab und winkt durch – ER hat ja nix zu verbergen!
Es gibt einen Teil der Bevölkerung, dem alles egal ist, solange sie was zu fressen und zu saufen haben und Fernseher und Strom dafür bereitstehen. Die erreichen wir eh nicht. Für diejenigen, die sich ein bißchen einen Kopf machen sind konkrete Beispiele immer noch besser als abstrakte neue Begriffe. Und: Keine Angst, ich habe noch andere Beispiele in der Pipeline.
(BTW: Das Wort “seltenst” gibt es nicht. Nach der Korrektur kannst Du diese Anmerkung gerne löschen.)
Ist korrigiert. Im Blog wird eben auf das Lektorat verzichtet. Wir sind ja hier nicht bei den Printmedien.
Richtig 😉